Zwar werden Leistungen grundsätzlich erst ab Antragstellung erbracht. Wenn aber bereits ein Pflegegrad festgestellt ist, werden ja auch bereits Leistungen bezogen. Wenn bei laufendem Leistungsbezug festgestellt wird, dass eine Veränderung in den Verhältnissen stattgefunden hat und daraufhin höhere Leistungen zu gewähren sind, hat die Pflegekasse die höheren Leistungen im Zweifel auch für die Vergangenheit zu erbringen. Das Gesetz sieht vor, dass Leistungen bis zu vier Jahre rückwirkend erbracht werden können.

Lässt sich also nachweisen, dass die Voraussetzungen für den höheren Pflegegrad bereits länger bestehen, muss die Pflegekasse auch rückwirkend das Pflegegeld nach dem höheren Pflegegrad zahlen. Dazu sollte man bereits bei Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) entsprechende Befundunterlagen vorlegen. Idealerweise liegt ein Krankenhausbericht oder ähnliches vor, aus dem sich die Verschlechterung ab einem bestimmten Zeitpunkt nachweisen lässt. Im Zweifel kann aber auch der Hausarzt eine entsprechende Bescheinigung ausstellen.

 

Beispiel 1

Für ein Kind (7 Jahre) mit Diabetes ist ein Pflegegrad 2 festgestellt. Nun werden zusätzlich zu den Hilfebedarfen durch die Diabeteserkrankung Therapien (Ergo- /Logopädie) verordnet. In diesem Zusammenhang werden häusliche Therapieübungen durchgeführt. Die Therapien beginnen im Mai, aber erst mit dem Folgerezept und der Fortsetzung der Therapien im September wird der Antrag auf Höherstufung zur Pflegekasse geschickt. Nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) stellt sich heraus, dass der Aufwand für die Therapien zu entsprechend höheren Punkten im Modul 5 führt und dadurch die Voraussetzungen für den Pflegegrad 3 vorliegen.

Ab wann zahlt die Pflegekasse höheres Pflegegeld

Hier wird die Pflegekasse erst ab September Leistungen nach dem Pflegegrad 3 gewähren und einen entsprechenden Bescheid erlassen. Dagegen muss mit der Begründung Widerspruch eingelegt werden, dass der höhere Pflegegrad bereist ab Beginn der Therapien, also ab Mai, festzustellen und entsprechend höheres Pflegegeld für diese Zeit zu zahlen ist.

 

Beispiel 2

Frau F (82 Jahre) lebt gemeinsam mir ihrem Mann in der eigenen Wohnung. Aufgrund einer Herzerkrankung ist sie zwar teilweise auf Hilfe angewiesen, kommt aber noch recht gut alleine zruecht. Bei ihr ist der Pflegegrad 1 festgestellt. Nach einem Sturz und anschließendem Krankenhausaufenthalt ist sie nach Rückkehr in die Wohnung zunächst auf einen Rollstuhl angewiesen und benötigt im Bereich der Selbstversorgung weitgehende Hilfe. Nachdem sich der Zustand auch nach mehreren Monaten nicht merklich bessert, wird der Antrag auf Höherstufung zur Pflegekasse gestellt. Der Medizinische Dienst (MD) stellt den Pflegegrad 3 fest.

Auch in diesem Fall stellt die Pflegekasse den Pflegegrad 3 erst ab Antragstellung fest. Tatsächlich besteht ein Anspruch auf Pflegegeld nach dem Pflegegrad 3 ab dem Ende des Krankenhausaufenthalts. Widerspruch sollte also eingelegt werden.    

Ist bereits ein Pflegegrad festgestellt und werden Leistungen der Pflegeversicherung bezogen, stellt sich bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder bei höherem Hilfe- und Pflegebedarf die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Pflegekasse einen höheren Pflegegrad feststellen muss. Und ab welchem Zeitpunkt sind dann höhere Pflegeleistungen (z. B. höheres Pflegegeld) zu zahlen?

In der Praxis ist es in der Regel so, dass der oder die Versicherte einen entsprechenden Antrag bei der Pflegekasse stellt und mitteilt, dass eine Verschlechterung eingetreten ist und die Feststellung eines höheren Pflegegrades beantragt wird. Die Pflegekasse geht nun so vor, dass dieser Antrag als Ausgangspunkt genommen wird und ab diesem Zeitpunkt -sollte ein höherer Pflegegrad festgestellt werden- auch die höheren Leistungen erbracht werden.

Das ist aber nur dann richtig, wenn die Verschlechterung auch erst mit Antragstellung eingetreten ist. Das ist aber in den seltensten Fällen so. Meisten bestehen gesundheitliche Verschlechterungen eine ganze Weile bis schließlich ein Antrag zur Pflegekasse gestellt wird.  

Was der Medizinische Dienst (MD) anerkennt

Dieser Bedarf findet aber häufig keine Berücksichtigung, wenn die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst für den Pflegegrad ansteht. Gelegentlich sind die Gutachter/die Gutachterinnen vom MD einsichtig und halten in ihren Gutachten fest, die im Rahmen der Begutachtung geschilderten Probleme, wie z.B. aggressives oder abwehrendes Verhalten bei Unterzuckerung, seien zwar nachvollziehbar, die Richtlinien würden die Feststellung eines entsprechenden Bedarfes aber nicht vorsehen.

In der Regel werden diese Probleme jedoch in den Gutachten überhaupt nicht thematisiert.

Bei Begutachtungen durch den Medizinischen Dienst bei Kindern mit Diabetes ist es deshalb in der Regel nicht das Problem, die Anzahl der Messungen oder der Insulininjektionen anerkannt zu bekommen. Meistens sind die Feststellungen in dem dafür vorgesehenen Modul 5 durchaus korrekt. Auch bei einer sehr aufwändigen Therapie können in dem Modul 5 jedoch maximal 20 Punkte erreicht werden. Dies reicht insgesamt aber nur für den Pflegegrad 1. Für den Pflegegrad 2, ab dem ein Anspruch auf Pflegegeld besteht, braucht es zusätzliche Punkte aus anderen Modulen.

Pflegegrad und Diabetes bei Kindern-Modul 3

Zusätzliche Punkte aus dem Modul 3

Die für den Pflegegrad 2 fehlenden Punkte können bei Kindern mit Diabetes häufig in dem Modul 3 begründet werden.

Abwehrverhalten oder Aggressivität von Kindern mit Diabetes ist im Modul 3 zu berücksichtigen. Das Modul 3 sieht Pflegebedarf bei Verhaltensweisen und psychische Problemlagen vor. In diesem Modul werden zum Beispiel verbale Aggressionen, physisch aggressives Verhalten oder die Abwehr pflegerischer oder anderer unterstützender Maßnahmen festgestellt. Aber auch besondere Ängste sind hier zu berücksichtigen. Dabei kann auch eine Angst des Kindes vor Injektionen (Nadelangst) Berücksichtigung finden.

Bei Diabeteserkrankungen von Kindern verursachen oftmals nicht nur die Insulintherapie, Messungen und das Einhalten einer bestimmten Diät allein Probleme im Alltag. Gerade bei jüngeren Kindern fehlt es verständlicherweise oft noch an der Einsicht, dass bestimmte therapeutische Maßnahmen, wie Blutzuckermessungen oder die Insulingabe, erforderlich sind. Häufig kommt es zu Diskussionen oder Abwehrverhalten der Kinder. Manchmal schlägt dies auch in aggressives Verhalten um.

Eine einfache Blutzuckermessung artet dann schon mal in eine langwierige Diskussion oder Konfrontation aus. Oft müssen Kinder aufwendig und langwierig dazu überredet werden, eine bestimmte Maßnahme zu tolerieren.

In Gutachten des Medizinischen Dienstes lese ich häufig, dass diese Verhaltensweisen nach den geltenden Richtlinien nicht berücksichtigt werden könnten, da es in dem Modul 3 um Verhaltensweisen und psychische Problemlagen bei bestehender psychischer Erkrankung gehe. Das ist falsch. Bereits in den Richtlinien ist dazu aufgeführt, dass es sich um Verhaltensweisen und psychische Problemlagen als Folge von Gesundheitsproblemen, häufig psychische Erkrankungen, die immer wieder auftreten und auf Dauer personelle Unterstützung erforderlich machen, handelt. Besondere Verhaltensweisen eines Kindes aufgrund einer Diabeteserkrankung sind also bereits nach den Vorgaben der Pflegerichtlinien zu berücksichtigen. Es braucht ausdrücklich nicht zusätzlich eine psychische Erkrankung.

 

Oft lese ich in Gutachten des Medizinischen Dienstes auch den Einwand bei problematischen Verhaltensweisen eines Kindes, z.B. bei Messungen oder Injektionen, dass dieser Aufwand ja bereits im Modul 5 berücksichtigt wird und eine doppelte Berücksichtigung nicht erfolgen könne. Dazu haben die Sozialgerichte jedoch inzwischen entschieden, dass auch eine doppelte Berücksichtigung von gleich oder ähnlich gelagerten Hilfen möglich ist, wenn keine Deckungsgleichheit vorliegt. Das bedeutet, dass besondere Verhaltensweisen eines Kindes und der damit verbundene erhöhte Pflegeaufwand im Rahmen der Diabetestherapie Berücksichtigung finden müssen. Denn es handelt sich dabei um ein Abwehrverhalten gegenüber notwendigen Therapiemaßnahmen, insbesondere der Insulingabe sowie den Messungen. 

 

Voraussetzungen für den Pflegegrad 2

Kommt es also häufig neben der eigentlichen Diabetestherapie zu Problemen, liegen die Voraussetzungen für den Pflegegrad 2meistens bereits schon vor. Denn die zusätzlichen Punkte aus dem Modul 3reichen dann in der Regel aus, um die notwendigen Punkte für den Pflegegrad 2 (27 Gesamtpunkte) zu begründen.

 

Widerspruch einlegen

Wird ein Antrag auf Zuerkennung des Pflegegrades 2 abgelehnt, sollte also in jedem Fall Widerspruch eingelegt werden.

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Pflegeleistungen auch rückwirkend möglich

In meiner Praxis kommt es häufig vor, dass pflegebedürftige Menschen ihre Ansprüche gegenüber der Pflegekasse nicht zeitnah geltend machen. Oft sind die Personen bereits länger auf Hilfe angewiesen, bevor ein Antrag bei der Pflegekasse gestellt wird.

Das Problem ist, dass die Pflegekasse jedoch Leistungen, insbesondere Pflegegeld, erst ab einem Antrag erbringt. Obwohl Angehörige oder Familie schon sehr viel länger Unterstützung leisten, wird daher kein Pflegegeld gezahlt. Die Pflegekasse verweist auf den nicht gestellten Antrag und lehnt Leistungen für die Vergangenheit ab.

Unter Umständen können Pflegeleistungen mehrere Jahre rückwirkend beansprucht werden. Ansprüche sind in der Praxis nicht selten.

 

Natürlich ist es in der Regel so, dass die Pflegekasse von dem Hilfebedarf gar nicht weiß und daher auch nicht entsprechend informieren oder beraten kann. Daher hat die Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen zugunsten von Versicherten entschieden, dass auch behandelnde Ärzte oder Krankenhäuser diese Informationspflichten treffen. Wenn also ein behandelnder Arzt einen entsprechenden Hilfebedarf erkennt, hat er die Pflegekasse hierüber zu informieren. Auch den Patienten hatte er darauf hinzuweisen, dass er einen Antrag bei der Pflegekasse stellen sollte. Macht er dies nicht, hat sich die Pflegekasse dieses Versäumnis nach der Rechtsprechung zu rechnen zu lassen. Dies hat zur Folge, dass der Versicherte so zu stellen ist, als hätte der behandelnde Arzt die Pflegekasse informiert. Der Antrag gilt dann ab diesem Zeitpunkt als gestellt.

 

Die Pflegekasse hat den Antrag in diesen Fällen als rückwirkend gestellt zu bewerten. Liegen die übrigen Voraussetzungen vor, hat die Krankenkasse somit rückwirkend Pflegegeld zu zahlen. Teilweise führt dies dazu, dass die Pflegekasse für mehrere Jahre rückwirkend Pflegegeld zu zahlen hat.

 

Die Pflegekassen haben sich nicht nur die fehlende Information durch behandelnde Ärzte zurechnen zu lassen, sondern das gilt auch für Krankenhäuser. Im Rahmen des Entlassungsmanagements haben Krankenhäuser die Pflegekassen zu informieren, wenn Pflegebedürftigkeit absehbar ist. Geschieht dies bei einer Entlassung nicht, kann rückwirkend Pflegegeld durchgesetzt werden.

Dabei wissen viele Menschen nicht, dass sie Pflegegeld erhalten können. Vielen ist nicht klar, dass sie bereits Hilfe durch die Pflegekasse erhalten können. Es kommt nicht selten vor, dass bis zu einem Antrag mehrere Jahre vergehen.

Daher zunächst einmal der Rat, mit einem Antrag auf keinen Fall zu zögern und möglichst frühzeitig Leistungen bei der Pflegekasse zu beantragen.

Es gibt aber durchaus die Möglichkeit, auch rückwirkend Pflegegeld durchzusetzen. Und zwar dann, wenn man über mögliche Leistungen nicht oder nicht ausreichend informiert wurde. Denn der Gesetzgeber hat die Problematik sehr wohl erkannt und zunächst die Pflegekassen verpflichtet, entsprechend über mögliche Hilfen zu informieren und auf die Beantragung von Leistungen hinzuwirken.

Der Grad der Pflegebedürftigkeit wird mit Hilfe eines Punktesystems ermittelt. Dabei werden in sechs verschiedenen Modulen Punkte ermittelt.

Modul 1: Mobilität

Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

Modul 4: Selbstversorgung

Modul 5: Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen

Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Bei psychischen Erkrankungen sind in der Regel die Module 2, 3, 5 und 6 relevant. Gegebenenfalls kann auch der Bereich Selbstversorgung berücksichtigt werden.

Wenn beispielsweise bei einer Depression der Partner motiviert werden muss, morgens aus dem Bett zu kommen oder sich zum Duschen aufzuraffen, stellt dies einen berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf dar. Auch wenn die Einnahme von Medikamenten kontrolliert werden muss oder dazu aufgefordert oder angehalten werden muss, ist dies zu berücksichtigen. 

Pflegegeld bei psychischer Erkrankung

Ein weiteres Beispiel ist eine Angsterkrankung, bei der eine Person nicht mehr ohne Begleitung das Haus verlässt. Wenn dann Ärzte oder Therapeuten aufgesucht werden müssen und eine Begleitung erfolgt, ist auch dies ein Hilfebedarf, der berücksichtigt werden muss.

Wenn zum Beispiel bei einer Depression, der Partner motivieren muss, damit man morgens aus dem Bett kommt oder sich zum Duschen aufrafft, stellt dies einen berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf dar. Auch wenn die Einnahme von Medikamenten kontrolliert werden muss oder wenn hierzu aufgefordert oder angehalten werden muss, ist dies zu berücksichtigen. 

Ein weiteres Beispiel ist eine Angsterkrankung, bei der eine Person ohne Begleitung nicht mehr das Haus verlässt. Wenn dann Ärzte oder Therapeuten aufgesucht werden müssen, und eine Begleitung erfolgt, ist auch dies ein Hilfebedarf, der berücksichtigt werden muss.

Es ist bei einer psychischen Erkrankung mit einer gewissen Ausprägung also gar nicht unwahrscheinlich, dass man in den Bereich des Pflegegrades 2, der zum Bezug von Pflegegeld berechtigt, gelangt.

Auch psychische Erkrankungen, wie z.B. Depressionen, können ein Grund für die Einstufung in eine Pflegegrad und einen Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld gegen die Pflegekasse sein. In meiner Praxis erlebe ich jedoch sehr häufig, dass Klienten mit psychischen Erkrankungen entsprechende Anträge nicht oder erst spät stellen.

Seit 2017 gilt das neue Pflegeversicherungsrecht. Danach werden nicht mehr nur die klassischen Kriterien der Selbstversorgung (Anziehen, Waschen etc.) berücksichtigt, sondern auch psychische und kognitive Einschränkungen sowie der Umgang mit und die Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen.